Diskussion:

Plattform:

Bis Anfang November 2023 wurde an dieser Stelle auf die beiden Gründungsdokumente der „proletarischen Plattform“ vom Mai 2011 verwiesen (unter dem Menüpunkt Plattform sind sie aber selbstverständlich auch weiterhin zu finden). Da jedoch das mit diesem Namen gelabelte, dereinst mit viel Elan begonnene, nach zwei bis drei Jahren indes bereits deutlich erlahmte politische Projekt anlässlich Coronas, wie so manches andere auch, schließlich vollends sich zerlegt hat, war es sicher höchste Zeit aufzuhören, hier heile Welt zu spielen. Aus trostlos aktuellem Anlass sei stattdessen auf ein gut 17 Jahre altes Dokument verwiesen. Die „proletarische Plattform“, die es damals noch nicht gab, verantwortet dieses Dokument so wenig wie die folgenden Ausführungen dazu, weil sie halt als ein irgend etwas gemeinsam verantwortender Zusammenhang inzwischen nicht mehr existiert. Gleichwohl dokumentieren beide ein Kontinuum, das sowohl über den Anfang der „proletarischen Plattform“ als auch ihr Ende hinausreicht.

Es geht um Israel. Ein Déjà-vu

Es war im Sommer 2006. Die Partei Die Linke war noch nicht gegründet, aber es gab bereits ein knappes Jahr lang eine Linksfraktion im Bundestag, in der Abgeordnete zweier ihre Fusion betreibender Parteien zusammensaßen: der Linkspartei.PDS und der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) mit ihren zwei Paradehengsten Gregor Gysi und Oskar Lafontaine. Letzterer hatte schon im Februar desselben Jahres über Schnittmengen zwischen dem Islam und der Linken öffentlich sinniert und war, wie man munkelte, seitens Gysis und der PDS nur mit Mühe davon abzuhalten gewesen, den Mullahs im Iran seine Aufwartung zu machen.

Im Sommer aber ging es dann – nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal – wieder ganz unmittelbar um Israel. Die in iranischen Diensten stehenden libanesischen Krieger der Hisbollah (Partei Gottes) hatten eine israelische Grenzpatrolliere angegriffen, mehrere Soldaten erschossen und zwei als Geiseln entführt. Damit einhergehend beschossen sie aus dem von ihnen beherrschten Süden des Libanon fortwährend Israels Norden mit Katjuscha-Raketen, die bis nach Haifa reichten. Niemand in der westlichen Welt, der politisch halbwegs bei Trost war, sprach damals Israel das Recht ab, sich militärisch dagegen zur Wehr zu setzen.

Fünf Jahre, bevor die „proletarische Plattform“ aus der Taufe gehoben worden ist, waren zwei später hieran maßgeblich Beteiligte damals Mitglieder des Landesvorstands der WASG in Schleswig-Holstein. Als nun ihr Bundesvorstand in einer „Erklärung“ zu den „Eskalationen im Nahen Osten“ verlautbarte, dass „Israels Krieg gegen den Libanon … in jeder Form abzulehnen“ sei, durfte dies ihrer Ansicht nach nicht unwidersprochen bleiben:

Sommer 2006

Bundesvorstand der WASG entgleist

Einspruch gegen die Erklärung des WASG-Bundesvorstands zu den „Eskalationen im Nahen Osten“
von D. D. und R. I.

Der Bundesvorstand der WASG hat in seiner Sitzung am 29. und 30. Juli in Fürth eine Erklärung zum gegenwärtigen Nahostkrieg beschlossen. Die Erklärung stellt – sprachlich wie inhaltlich – eine bemerkenswerte Fehlleistung dar ... [alles lesen]

Der Widerspruch, publiziert im September-Heft der Zeitschrift konkret, stieß jedoch auf wenig Gegenliebe. Mehr noch als in der PDS war nämlich namentlich bei den Linken in der WASG ein dezidierter Antizionismus zu Hause, der auf seine großmäulige Klassenkampfrhetorik sich etwas einbildet und mit dem Ziel einer Beseitigung des „zionistischen Gebildes“ an sich keine Probleme hat. Die aus dem trotzkistischen Linksruck-Netzwerk stammende, damals dem WASG-Bundesvorstand angehörende Christine Buchholz beispielsweise brachte es fertig, in einem Interview am 15.8.2006 in der jungen Welt „in diesem Konflikt die Hisbollah, die Friedensbewegung in Israel und die internationale Antikriegsbewegung“ auf eine Seite zu stellen und diese Sortierung mit dem Bekenntnis abzurunden: „Das ist die Seite, auf der auch ich stehe.“

Ihrer Karriere im Parteiprojekt Die Linke haben solche Offenbarungen bislang keinerlei Abbruch getan. Dem Parteivorstand gehört sie bis heute an, unmittelbar nach der Gründung einige Zeitlang sogar geschäftsführend, und das Bundestagsmandat für den hessischen Landesverband, das sie seit 2009 innegehabt hat, verlor sie 2021 nur, weil dafür das miserable Stimmenergebnis diesmal knapp nicht mehr reichte. Aber auch andere Größen der Partei, denen zum Teil unsere „Plattform“ bedeutend näher an die Seite gerückt war, machten aus ihrem derben Antizionismus niemals einen Hehl und – jedenfalls zeitweise – damit durchaus Karriere. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang als Musterexemplar jemand wie Inge Höger, bis heute eine Sprecherin jenes Strömungs-Zusammen­schlusses der sogenannten „Antikapitalistischen Linken“ (AKL) inner- und außerhalb der Partei, dem sich im Juli 2012 auch die „proletarische Plattform“ förmlich angeschlossen hat.

Bezüglich ihrer Fahrt im Mai 2010 gen Israel als MdB auf dem Frauendeck des Flaggschiffs der unsäglichen „Free-Gaza“-Flottille hatten wir (zwei Jahre danach) bei unserer Entscheidung beide Augen zugedrückt. Nicht, dass die bösartig antisemitische Grundierung dieses Unternehmens uns nicht auch damals völlig klar gewesen wäre. Wir dachten aber, andere Prioritäten setzen zu können und zu sollen. Was daraus geworden ist, darüber dürften wir, die wir die „Plattform“ dereinst gemeinsam getragen haben, uns derzeit wahrscheinlich gründlich uneins sein. Keinen Raum lassen aber die Taten der jetzt aus Gaza ausge­brochenen djihadistischen Kommandos für Zweifel darüber, welche massenmörderischen Implikationen jene „Freiheit“ unweigerlich entfesselt, für die unsere antikapitalistischen Genossen der­einst übers Meer gefahren sind.

Die AKL schweigt sich über das aktuelle Geschehen rund um Gaza bislang lieber aus. Und auch ihre Sprecherin und Ex-MdB Inge Höger hat sich, soweit ich sehe, noch kein Wort zur Verurteilung der Untaten der Hamas abgerungen. Auf ihrer Facebook-Seite lässt sie eine „Leiterin des RLS-Büro Palästina-Jordanien mit Sitz in Ramallah/Westbank“ zu Wort kommen, die einen „Siedlerkolonialismus und eine illegale Besatzung“, von denen in Gaza seit 18 Jahren keine Rede mehr sein kann, als das große Unheil ausmacht. Und auch die unvermeidliche Christine Buchholz erhält dort das Wort zu ihrem Jubelbericht über eine Demo von Ende Oktober in Berlin, auf der „wir“ und weitere „Über 10.000 Menschen“ die notorischen Parolen „Free Gaza“ und „Free Palestine“ skandierten, ergänzt um das Verlangen eines sofortigen Waffenstillstands, der in der gegebenen Situation auf nichts anderes hinausliefe als auf die Freiheit der Hamas, mit ihrem Terror unbehelligt weiterzumachen.

Indes hat auch der größere Rest der Linken nur in sehr bescheidenem Maße dazugelernt. Zwar verurteilt man, in einem Beschluss des Parteivorstands vom 11. Oktober 2023 „die entsetzlichen Terror-Angriffe der Hamas auf Israel … aufs Schärfste“ und ist über das „erklärte Ziel der Hamas … die Zerstörung Israels“ durchaus im Bilde. Aber „Besatzungspolitik“ und „Siedlungsbau“ werden auch in diesem Beschluss als der „Nährboden“ imaginiert, auf dem die „Herrschaft der Hamas und ihre Unterstützung bei der palästinensischen Bevölkerung basiert“. Allerdings hat man sich die Forderung nach einem Waffenstillstand oder gar einem „sofortigen“ verkniffen, gibt nur vage und ganz staatstragend seinem Wunsch Ausdruck, die Bundesregierung möge sich für „Deeskalation … und den Weg einer friedlichen Lösung“ einsetzen und in diesem Sinne mäßigend auf die israelische Regierung „einwirken“.

Das ist, gemessen an jener verunglückten Erklärung, worin vor nunmehr 17 Jahren der Bundevorstand der WASG in einer, was Israels Bedrängnis angeht, in mancher Hinsicht sehr ähnlichen Situation dessen Krieg für „in jeder Form abzulehnen“ befand, immerhin ein kleiner Fortschritt.


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