„grundlegend neu nachgedacht“

Zu Thomas Kuczynskis Reaktion auf unsere Anfrage

Anmerkungen von Daniel Dockerill

Der Genosse Kuczynski war mir noch in eher unguter Erinnerung wegen seines Auftritts bei der SALZ-Sommerwoche in Kiel.

Unter dem Vorwand, ein Buch vorzustellen, dessen Titel er zwar den Namen seines Vortrags entliehen, für das er dann aber nicht eine Silbe übrig hatte (geschweige denn für seine Autorin), zelebrierte er die Selbstdarstellung seiner eigenen weitläufigen Kenntnisse rund um das Thema Lenin-Luxemburg. Es war, wie nicht nur ich seinerzeit fand, die mit Abstand am wenigsten erfreuliche Veranstaltung während der Woche.

Und nun kommt er uns so: Alten Wein in neue Fässer gegossen hätten wir (was offenbar – Metaphern und Redensarten sind halt Glücksache – eine Rüge sein soll) und zwar „zum x-ten Male“. Stattdessen müsse neu nachgedacht werden und zwar „grundlegend“. Und dreimal dürfen wir raten, wer das bereits getan hat: „mein Beitrag im letzten Lunapark“ (siehe unten das PDF) wird uns (bzw. dem, der ihn mit unserem abwegigen Vorhaben behelligt hat) empfohlen und zwar „in diesem Zusammenhang“.

Lieber F.:
Das Proletariat in Westeuropa und Nordamerika hat sich (entgegen der Voraussage im Kommunistischen Manifest) in dieser kapitalistischen Gesellschaft heraufgearbeitet und sieht daher heute keine Veranlassung mehr, grundsaetzlich gegen diese Gesellschaft zu opponieren. Die Partei Die Linke ist ebenfalls in dieser Gesellschaft angekommen und beteiligt sich fleissig an den Verteilungskaempfen innerhalb derselben. An beidem wird auch eine proletarische Plattform in der Linken nichts aendern koennen. Es muss grundlegend neu nachgedacht, nicht zum x-ten Male alter Wein in neue Faesser gegossen werden. Vielleicht interessiert Dich in diesem Zusammenhang mein Beitrag im letzten Lunapark (H. 13/2011). Solidarische Gruesse - th.


Im Zusammenhang damit also, dass das „Proletariat in Westeuropa und Nordamerika … sich … in dieser kapitalistischen Gesellschaft herauf gearbeitet“ habe („herauf“! nämlich dorthin, wo demnach Geistesgrößen wie Gen. K. und Co. glauben sich immer schon aufzuhalten und die Proleten von einst willkommen heißen zu können) – Wir dürfen sicher sein, dass irgendein Anflug vom Begriff jenes Proletariats, über das der Mann hier so nebenher parliert, ihm dabei nicht zu Gebote steht. Die Tagelöhner der Tabel-Gruppe in Kiel beispielsweise oder die hin und wieder Beschäftigten eines x beliebigen Callcenters wird er „in diesem Zusammenhang“ gewiss nicht im Auge haben. Gar nicht zu reden von den knapp sieben Millionen Menschen, die hierzulande auf ALG II oder Sozialgeld angewiesen und den Schikanen von Jobcentern und Sozialbehörden ausgeliefert sind: Alle „herauf“ und oben auf? Und ohne „Veranlassung … zu opponieren“?

Unter Proletariat stellt sich so einer vielmehr dasselbe vor, was der wohlbestallte Gewerkschaftsbürokrat als den harten Kern seiner Klientel begreift: die Mitglieder von betriebsrätlich veranwalteten Stammbelegschaften; Lohnarbeiter also, die noch allzu oft den Besitz eines sogenannten Arbeitsplatzes als die Wesensbestimmung ihrer Existenzweise und darum dessen möglichen Verlust als Verstoßung ins Lager einer völlig anderen sozialen Spezies missverstehen. Einem Gewerkschaftsbürokraten darf man freilich so etwas getrost nachsehen. Er hält sich einfach, soweit es ihn angeht, an den blendenden Schein der sozialen Tatsachen. Für einen Mann der Wissenschaft ist das aber der Offenbarungseid.

Die Partei Die Linke hat er „in diesem Zusammenhang“ gleich mit erledigt, was immerhin anzeigt, dass wir offenbar nicht völlig daneben liegen damit, sie als bestimmte Ausdrucks- und Bewegungsform eben jenes ungeliebten Proletariats aufzufassen. Der Partei also wirft er vor, sie sei „ebenfalls in dieser Gesellschaft angekommen“, was zunächst die Frage aufwirft, aus welcher anderen sie wohl hergekommen sein mag. Aber woher auch immer, jetzt jedenfalls beteilige sie „sich fleissig an den Verteilungskaempfen innerhalb derselben“ und fängt sich dafür vom Professor einen Rüffel ein, oder vielmehr fangen wir uns einen ein, weil wir nicht einsehen wollen, dass „eine proletarische Plattform in der Linken“ daran „wird auch … nichts aendern“ können.

Welch eigenartige Verkennung unserer Absichten! Wir denken ja gar nicht daran, in der Partei dafür zu werben, dass sie aus besagten Verteilungskämpfen sich heraushalten oder auch nur weniger fleißig daran „beteiligt“ sein möge.

Auf so etwas kommt allerdings mit einer gewissen Zwangsläufigkeit, wer es anscheinend für möglich oder gar geboten hält, nicht etwa in, sondern „gegen diese Gesellschaft zu opponieren“, und zwar „grundsaetzlich“. Eine Idee, auf die wiederum nur jemand kommt, dem das Abstrahieren von der unauflöslichen Verortung der eigenen Existenz innerhalb dieser bestimmten Gesellschaft eine quasi natürliche Gewohnheit ist. Ein Professor kann sich so eine Opposition jenseits von Zeit und Raum seines persönlichen Daseins erdenken, aber eine ganze soziale Klasse kann nicht nach der Devise sich gesellschaftlich bewegen. Und wo mag wohl der Genosse Prof. im kommunistischen Manifest eine entsprechende „Voraussage“ gefunden haben. In jenem Manifest, das „diese Gesellschaft“ dafür geradezu lobpreist, besagtes Proletariat hervorgebracht zu haben und täglich neu hervorzubringen und zu entwickeln, in dessen ganzer Daseinsweise jegliches bloß partielle, sei es auch schon klassenmäßige Dasein des Menschen radikal negiert, daher die klassenlose Gesellschaft in denkbar vollständigster Form vorweggenommen erscheint.

In durchaus grundsätzlicher Opposition zwar sah das Manifest allerdings das Proletariat sich bewegen, in Opposition jedoch nicht „gegen diese Gesellschaft“, sondern gegen die Bourgeoisie; jener Bourgeoisie, die als bloß „willenloser und widerstandsloser Träger“ (MEW 4, S. 473) der kapitalistischen Vorbereitung des „Vereins freier Menschen“ genau dasjenige Moment daran verkörpert und daher mit Zähnen und Klauen verteidigt, das dessen herangereifte Möglichkeit von seiner Wirklichkeit noch trennt: die Willen- und Bewusstlosigkeit der an sich bereits praktizierten im globalen Maßstab unmittelbar gesellschaftlichen, also an sich bereits kommunistischen Produktion.

Die Wiederbelebung und Entwicklung der selbstbewussten Opposition des Proletariats in eben diesem Sinne ist die zentrale Idee, worum die beiden Gründungstexte unserer Plattform kreisen. Und vermutlich genau die gerät unserem kommunistischen Professor zur Kröte, die er nicht schlucken mag. Scheint sie ihm doch allzu sehr das Gewicht jenes Metiers zu relativieren, worin er sich offenbar zu Hause fühlt und eine Rolle zu spielen versteht: „Es muss grundlegend neu nachgedacht … werden.“ Der Ärger, den sie ihm bereitet, scheint so groß, dass er darüber, wie er ihm Luft verschafft, jedenfalls nicht weiter nachgedacht hat. Und so passiert es ihm, dass er unser Programm mit Wein vergleicht, der bekanntlich mit seinem Alter in der Regel an Qualität gewinnt und also, in neue Fässer gegossen, diese eher veredelte, als dass sie durch ihn entwertet würden. In der Bibel, woraus die Metapher stammt, geht sie im Übrigen – abgesehen davon, dass die „Faesser“ dort Schläuche sind – genau anders herum: „Auch tut man nicht neuen Wein in alte Schläuche“, heißt es da (Matthäus 9:17).

Was aber das Alter unseres Weines angeht, so legt die Einleitung unserer Eckpunkte hinreichend Rechenschaft darüber ab, wie und warum es dazu gekommen ist. Und was auch immer der Professor mit seiner glücklich misslungenen Metapher uns dazu hat sagen wollen – wir dürfen es getrost als Kompliment nehmen. Vielleicht hat ihn ja insgeheim die Besorgnis getrieben, dass sein Gesöff „in diesem Zusammenhang“ sich eher ausnimmt wie irgendein „zum x-ten Male“ mit Wasser gepanschter Jahrgang aus jüngerer Zeit, dem selbst das allerneueste Fass, in dem er schwappt, kein Prädikat zu verschaffen vermag.

Wegen einiger Kommentare, mit denen ich sein uns anempfohlenes neuestes Elaborat versehen habe, tue ich es hier dazu.

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Thomas Kuczynski - Geschichtslose Völker
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