11.2. Das Gespenst des Kommunismus als innerer Feind Nummer eins in Abwesenheit einer kommunistischen Bewegung

Die herrschende Klasse in Deutschland konnte die lohnabhängige Klasse nach 1990 auf Grund des bleiernen Zusatzgewichts der ostdeutschen industriellen Reservearmee bei wenig Gegenwehr soweit an die Wand drücken, dass sie nach der Seite proletarischer Aufmüpfigkeit aktuell kaum vom inneren Feind schwadronieren kann.

Dass der innere Feind trotzdem heute vor wie nach 1945 in Deutschland links geortet ist, belegen tägliche Presseschlagzeilen und zeugt vom langen Gedächtnis des Staatsapparats bezüglich dessen, was die potentiell stürmische eruptive Entfaltung des proletarischen Klassenkampfs historisch konkret bedeuten kann.

Das Land Adenauers verbot die KPD, obwohl sie zahnlos die Stalinsche friedliche Koexistenz von Ost und West reproduzierte. In deutsch-pedantischem Antikommunismus wurden beispielsweise naive Menschenfreunde hinter Gitter gebracht, nur weil sie FDJ-Freizeiten westdeutscher Prolkinder am Ostseestrand der DDR vor Ort in der BRD organisierten. Dagegen kamen übelste Nazi-Schergen mit lächerlich kurzen Gefängnisstrafen davon. Es galt die Devise des furchtbaren Marinerichters und Ministerpräsidenten Baden-Württembergs Hans Filbinger nach allen Seiten: „Was damals recht war, kann heute nicht unrecht sein.“ 

Der Antikommunismus der post-faschistischen Adenauerära war aggressiv in Abwesenheit einer gesellschaftlich relevanten kommunistischen Bewegung. Die Bewegung der neuen Linken der 1970er Jahre war ihrerseits wie die 1956 verbotene KPD auch rückwärtsgewandt orientiert an den realen Bauern- und Arbeitersozialismen und somit theoretisch, also auch programmatisch und politisch strategisch den fortgeschrittenen Bedingungen der BRD nicht annähernd gewachsen. Zudem erinnerten ihr missionarischer Eifer, ihre bitterbösen Grabenkämpfe, ihr wortreicher Revolutionspathos Außenstehende erschütternd an vergleichbare Rituale und die omnipotente Vollmundigkeit der gerade überstandenen Schreckensherrschaft.

In der lohnabhängigen Klasse fasste die Neue Linke keinen größeren Fuß. Das Land Willy Brandts sah die freiheitlich demokratische Grundordnung dennoch durch Lokomotivführer, Briefträger und Lehrer der Gutmenschen-DKP gefährdet und verhängte nicht nur gegen sie Berufsverbote. Und ein Dutzend Kleinbürgerkinder, deren Gutmenschentum nach deutscher Manier in den Größenwahn einer Antiimperialischen Front in den Metropolen umschlug, reichte, um die Republik medial in eine antikommunistische RAF-Hysterie zu versetzen. Mit diesem taktischen Zuge konnte die innere Aufrüstung beherzt umgesetzt werden. In dem Land Franz-Josefs Strauß` verfing noch zu Brandts Zeit ein Bundeswahlkampf gegen die Godesberg-gewendete SPD mit dem Slogan Freiheit statt Sozialismus.

Um die Kontinuität der Miserabilität der deutschen Zustände in den 1950er Jahren – insbesondere in den 1800 westdeutschen Provinz-Kleinstädten zwischen vier und dreißigtausend Einwohnern, aber keinesfalls nur dort – zu verdeutlichen, greifen wir auf den Zeitzeugen Hans Jürgen Krahl zurück:

 

„In Niedersachsen, jedenfalls in den Teilen, aus denen ich komme, herrscht noch zum starken Teil das, was man als Ideologie der Erde bezeichnen kann, und so habe auch ich mich, als ich meinen politischen Bildungsprozess durchmachte, zunächst nicht anders als im Bezugsrahmen der Deutschen Partei bis zur Welfenpartei bewegen können. Ich konnte mir nicht einmal die Ideologien erarbeiten, die Liberalität und Parlamentarismus bedeuten, – wenn man bedenkt, dass die Dörfer, in denen ich aufgewachsen bin, jene Nicht-Öffentlichkeit noch pflegen in ihren Zusammenkünften, die an Rituale mittelalterlicher Hexenprozesse erinnern. Wenn man davon ausgeht, dass heute noch in vielen Teilen der Bundesrepublik, vom bayrischen Wald bis zur niedersächsischen Heide, finsterste Ideologien der Mystik stattfinden, so war es sehr verständlich, dass mich mein Bildungsprozess zunächst einmal in den Ludendorffbund trieb, so dass ich begriffliches Denken nicht anders als aus der Mystik Meister Eckharts und Roswithas von Gandersheim erfahren habe, d.h. Ideologien, die, wenn man sie marxistisch interpretieren will, sicherlich ausgelegt werden können im Sinne eines utopischen Denkens, wie es Ernst Bloch getan hat, die aber, wenn man sie aus dem Erfahrungszusammenhang der herrschenden Klasse rezipiert, finsterste Unmündigkeit reproduzieren. Und so war es schon ein enormer Schritt an Aufklärung, als ich in meiner Heimatstadt Alfeld im Jahre 1961 die Junge Union gründete und der CDU beitrat.

Das war der erste Schritt, um mich aus diesen noch an Blut und Boden orientierten Ideologien zu befreien, aus dem feudalen Naturzustand einer Agrarwirtschaft überzutreten in die moderne kapitalistische Industriegesellschaft. Und hier muss ich sagen, dass da gewissermaßen eine Odyssee durch die Organisationsformen der herrschenden Klasse hindurch begann, und es gehört, das möchte ich mir ganz persönlich zugute halten, ein enormes Ausmaß auch an psychischer Konsistenz dazu, in dieser finsteren Provinz zwei Jahre kontinuierlich an CDU-Versammlungen von Kleinstadt-Honorationen teilzunehmen, denn nach kurzer Zeit stellten sich – und das ist nicht bloße Metapher – Daumiersche Halluzinationen ein, so dass sich die Zusammenkünfte in Versammlungen von Hammel-, Lamm- und Rindsköpfen verwandelten.“
[1]


In diesem ideologischen Sumpf gedieh der Antikommunismus nach 1960 ohne tatsächliche kommunistische Arbeiterbewegung bis in die Gegenwart. Der Kommunismus wird als inneres Feindbild bis heute zur potentiellen Opfer-Täter-Verschiebung propagandistisch als drohendes Gespenst künstlich am Leben gehalten. Selbst eine harmlose Partei wie DIE LINKE wird hierzu regelmäßig medial vorgeführt.

 


 

[1]     Aus Angaben zur Person; in: Hans-Jürgen Krahl, Konstitution und Klassenkampf, Schriften und Reden 1966-1970, Selbstverteidigungsrede,  4. Auflage 1984, S. 19 ff

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