8. Vorlauf 1870 bis 1890

Als mit der Proklamation des preußischen Königs Wilhelm I. zum Kaiser am 18. Januar 1871 das 2. Deutsche Kaiserreich offiziell gegründet ward, hatte Deutschland schon ein weitgehend vorgezimmertes nationales Selbstbildnis. 

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Deutschland ist der einzige Staat Europas, dessen Nationalbewusstsein sich nicht im revolutionären Krieg der Bürger im Verein mit proletarisierten Bauernmassen und auf seine Seite überlaufendem Adel gegen die absoluten feudalen Monarchien herausbildete, welches in der Erringung des jeweiligs eigenen bürgerlichen Nationalstaates ihren erhabenen Ausdruck fand!

Das, was nach seiner Konstitution als Nationalstaat 1871 dann Deutschland hieß, stimmte keineswegs mit dem überein, was die Bildungsbürger zuvor unter „Deutschland“ verstanden. Für diese war Deutschland das Territorium, wo deutsch gesprochen[1] wurde. Demnach konnte „Deutschland“ nur als großdeutsche Lösung gedacht werden.

 

Als dann die kleindeutsche Lösung der preußischen Knute zum Zuge kam, sammelten sich bis zur Jahrhundertwende die antisemitischen nationalistischen Kräfte in der Alldeutschen Partei, um die Großdeutsche Lösung umzusetzen. Ihre Ideologie und Praxis, wonach dort Deutschland werden sollte, wo deutsch gesprochen wird, trieb die deutsche Bourgeoisie unter Zuhilfenahme von Adolfs Kohorten später auf die Spitze.

 

Die gemeinsame deutsche Hochsprache der damaligen gebildeten Schichten der Preußen, Bayern, Rheinländer usw. war das einzige, was das Phantasma Deutschland als sogenannte Kulturnation einte. Die Not der Bildungsbürger des deutschen Flickenteppichs von Landsmannschaften des 19. Jh. bestand darin, nicht wie ihres Gleichen in Frankreich, England, Niederlande politisch gleichberechtigte, von einander unabhängige Staatsbürger eines bürgerlichen Nationalstaats, sondern als ständische Elemente feudalen Hierarchien unterworfen zu sein. Von dieser Existenzweise her konnte der deutsche Bildungsbürger sein französisches Pendant aus der Ferne nur als Hieroglyphe bestaunen, um ansonsten seinen provinziellen blutsverwandtschaftlichen Gemeinschaftssinn biedermeierlich gemütlich auszubauen. Er konnte die politische Stellung des westeuropäischen Staatsbürgers nicht begreifen, verachtete deren bürgerlich „materialistisches“ Gewinnstreben als „egoistisch und jüdisch“, setzte, sich selbst moralisch überhöhend, sich als selbstlose Blutsgemeinschaft aller „Deutschen“. Zu vermuten steht, dass heute noch viele Deutsche „Deutscher-Sein“ mit deutsch Sprechen verwechseln.

 

Zu Anfang des 19.Jh war das bürgerlich-nationale Lichtlein im Zuge des ersten deutschen Industrialisierungsschubes einiger deutscher Regionen in der Zeit der Besetzung und der Befreiungskriege gegen Napoleon befeuert worden.

Die französische Kontinentalsperre für englische Waren und der eiserne Besen der antifeudalen Feldzüge Napoleons auf deutschem Territorium gab den Stadtbürgern der deutschen Zwergstaaten nach 1800 die Chance der nachholenden Industriealisierung durch steigenden Warenexport. Hiermit gingen erste Vereinheitlichungstendenzen hin zu einem nationalen Markt einher: Abschaffung der Zollgrenzen, Vereinheitlichung von Maßen und Gewichten, Abschaffung von beschränkenden Produktionsauflagen (Wirtschaftsfreiheit, Freiheit der Arbeit, Gewerbefreiheit), Abschaffung von Privilegien etc.

Aktiv im nationalen Sinne waren tatsächlich die städtisch-bürgerlichen Schichten, vor allem diejenigen, die zu den direkten oder indirekten Trägern der beginnenden Industrialisierung gehörten.

 

In der Zeit des Vormärz – nach dem Wiener Kongress 1815 bis 1848 – leuchtete das nationalbewusste Lichtlein einige Male wie beim Hambacher Fest 1832 weit sichtbar – allerdings nur gemütsbewegt in Akklamationen von Einheit (Deutschlands), Freiheit und Gleichheit[2]. Hier waren keine Bürger der Tat versammelt, sondern vom Echo der französischen Julirevolution 1930 emotional getriebene republikanische Patrioten. In manchen deutschen Gebieten, in Norditalien, den südlichen Niederlanden und vor allem in Polen generierte jenes Echo Emeuten und Aufstände, da die dortigen sozialen Zustände geradezu nach Umsturz riefen.

 

Unter Metternich‘ s inquisitorischer Knute der Heiligen Allianz regredierte das Hambacher Akklamationsfest-Lichtlein in Fortsetzung des altdeutsch-teutonischen Wartburgfestes von 1817 unter der Hand zur arischen Pechfackel für nächtliche Umzüge. Das Wartburgfest 1817 mit Bücherverbrennung und "Abgrenzung" des Germanentums kommentiert H. Heine in seiner Denkschrift an Börne vorahnend mit der Zuspitzung, dass das Deutschland der Altdeutschen jeden ins Exil schicken würde, der bis ins siebte Glied jüdische oder welsche Vorfahren hat. Der Nationalismus ohne Nationalstaat nahm chauvinistische Züge an. Nach dem Fiasko 1848, dem Anlauf einer  wegen des aufgekommenen Proletariats hosenscheißerischen Bourgeoisie zur bürgerlichen Revolution und der Ablehnung der vom Paulskirchen-Parlament des Deutschen Bundes angebotenen konstitutionellen Kaiserkrone durch die Hohenzollern – wo käme der von Gott erblich legitimierte preußische König hin, ließe er sich auf die Wahl durch „Kanaillen“ ein! – war dem demokratisch-bürgerlichen Nationalbewusstsein der politische Boden entzogen[3].

 

In den deutschen Landen blühte während der nach 1848 folgenden Restaurationsphase ein wirtschaftsbürgerlicher nationaler Patriotismus der unbedingten Reichseinigung von oben durch den preußischen Militarismus auf. 1863 schaffte es Bismarck im Bundestag des Deutschen Bunds, Preußen und Österreich als Vormächte des Deutschen Bundes zusammen mit Hannover und Sachsen mit der Bundesexekution gegen das Herzogtum Holstein zu beauftragen, da Holstein unter Verwaltung Dänemarks stehend nicht seinen Pflichten als Mitglied des Deutschen Bundes nachkam.

 

Im Dezember 1863 besetzten Fußtruppen Holstein und Lauenburg. 1864 erklärten die Vormächte Dänemark den Krieg unter Vorwand der dem Londoner-Protokoll nach unzulässigen verfassungsmäßigen Einbindung Schleswigs ins dänische Königreich. Die Sieger teilten sich zunächst die Beute. Die Herzogtümer Schleswig und Lauenburg fielen an Preußen, Holstein an Österreich.

Preußen nutzte die Schwächen Österreichs, besetzte 1866 Holstein und löste somit formal den Preußischen Krieg gegen den Deutschen Bund aus. Preußen vermochte mit seinen erpressten Verbündeten Österreich als Konkurrenten in der Entscheidungsschlacht von Königgrätz aufgrund waffentechnischer Überlegenheit 1866 endlich auszuschalten. Preußen annektierte dessen „natürliche“ Verbündete (Königreich Hannover, Kurfürstentum Nassau, Kurfürstentum Hessen, Freie Stadt Frankfurt) sowie das neugeordnete Schleswig-Holstein und gründete "seinen" Norddeutschen Bund.

 

Hiermit war der Deutsche Bund erledigt, die großdeutsche Lösung (fürs erste) gestorben und der zwei Jahrhunderte andauernde Dualismus zwischen Österreich und Preußen ein für alle Male zu Gunsten des aufsteigenden Preußens in Regie des Annexionskünstlers Bismarck[4] entschieden. Zusammen mit dem deutsch-französischen Krieg 1870 werden diese zwei Kriegszüge Preußens bezeichnenderweise die drei deutschen Einigungskriege genannt und spiegeln somit die obrigkeitsstaatliche Vorgehensweise Deutschlands in der Nationenbildung – bis heute – zutreffend wieder.

 

Mit und seit der Reichsgründung führte Preußen als Deutschland die bei der Gründung des Norddeutschen Bundes praktizierte Form des obrigkeitsstaatlichen Diktats auch bei seinen drei Neuordnungs-Versuchen Europas fort. Zwei militärische Versuche hierzu scheiterten katastrophal und das jetzt laufende EU-Projekt lässt inzwischen deutlich die deutsche Handschrift einer Neuordnung von oben vorbei am vorgeblichen Souverän erkennen. Wie heutzutage ein kalter Anschluss gemanagt werden kann, demonstrierte die BRD mit der Einverleibung der DDR.

 

Die deutsche historische Staats- und Rechtsschule brütete seit langem den besonderen Weg „Deutschlands“ aus, wonach aus der Not der Miserabilität des Entwicklungsgangs die deutschen Tugenden zur Legitimierung des feudalen Regimes erwuchsen.

Karl Marx schrieb 1843:


„Eine Schule, welche die Niederträchtigkeit von heute durch die Niederträchtigkeit von gestern legitimiert, eine Schule, die jeden Schrei des Leibeigenen gegen die Knute für rebellisch erklärt, sobald die Knute eine bejahrte, eine angestammte, eine historische Knute ist, eine Schule, der die Geschichte, wie der Gott Israels seinem Diener Moses nur ihr a posteriori |Hinterteil| zeigt, die historische Rechtsschule, sie hätte daher die deutsche Geschichte erfunden, wäre sie nicht eine Erfindung der deutschen Geschichte. Shylock, aber Shylock der Bediente, schwört sie jedes Pfund Fleisch, welches aus dem Volksherzen geschnitten wird, auf ihren Schein[5], auf ihren historischen Schein, auf ihren christlich-germanischen Schein.“[6]

 

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der von Teilen des Bildungs-Kleinbürgertums[7] zur nationalen Identitätsfindung angeworfene Germanenkult zur primitivsten Vorstellung von Geschichte als Kampf ums Dasein von auf- und absteigenden Rassen verfestigt. Führerkult und Untertanengeist samt Überhöhung der Arbeit fungierten hierin ideologisch als tragende – zu verinnerlichende – Elemente von Herrschaft.

 

Aus „deutscher“ Sicht war „Deutschland“ als Kulturnation[8] und Mittelmacht prädestiniert, als „Ehrlicher Makler“ zwischen den verfeindeten europäischen Großmächten zu vermitteln. Diese Spur war gelegt durch die tatsächliche 450 jährige Rolle des deutschen Territoriums als Tummelplatz der Interessen der nahen und entfernteren Nachbarn. Die Deutschen sahen sich nachträglich in der Opferrolle als Spielball der Großmächte anstatt als geschichtlich zurückgeblieben auf Grund der eigenen Schwäche als Bürger unter der feudalen Knute.

 

Der spätromantische Lyriker Emmanuel Geibel hatte 1861 in seinem Gedicht Deutschlands Beruf zusammengeballt:

 

"Macht und Freiheit, Recht und Sitte, // Klarer Geist und scharfer Hieb, // Zügeln dann aus starker Mitte // Jeder Selbstsucht wilden Trieb, // und es mag am deutschen Wesen // Einmal noch die Welt genesen."[9]


Dass das Selbstbild des ehrlichen selbstlosen sittlichen Maklers[10] von Anfang an ein Trugbild war[11], bewiesen der anschwellende Chauvinismus und das Geschrei nach Annexionen im deutsch-französischen Krieg 1870, der als nationaler Krieg endlich die Einigung Deutschlands unter Preußens Führung herbeiführte.

 

Als Zeitzeuge für das erste Aufflackern des hässlichen Deutschen zitieren wir ausführlicher Karl Marx, der mit Friedrich Engels insofern stark in die Vorgänge hineingezogen war, weil sie und die 1. Arbeiterinternationale ein Umschlagen des Krieges in den revolutionären Bürgerkrieg in Frankreich zwar bezweifelten, jedoch als geschichtliche Möglichkeit vor Augen hatten und diese eher befürchteten als befürworteten.


„Es scheint, daß man nicht nur Bonaparte, seine Generale und seine Armee in Deutschland eingefangen, sondern mit ihm auch den ganzen Imperialismus mit allen seinen Gebresten im Land der Eichen und der Linden akklimatisiert hat.

 

Was den deutschen Bourgeois betrifft, so verwundert mich seine Eroberungsbesoffenheit in keiner Weise. Erstens ist die Accaparation (Rafferei) das Lebensprinzip aller Bourgeoisie, und fremde Provinzen nehmen ist immer „nehmen“. Außerdem hat der deutsche Bürger soviel Fußtritte von seinen Landesvätern und speziell den Hohenzollern ergebenst akzeptiert, daß es für ihn ein wahrer Genuß sein muß, wenn dieselbigen Fußtritte zur Abwechslung einmal auch dem Fremdling appliziert werden.

 

Jedenfalls hat uns dieser Krieg von den „bürgerlichen Republikanern“ befreit. Er hat dieser Sippe ein Ende mit Schrecken gemacht. Und das ist ein bedeutendes Resultat. Er hat unseren Professoren die beste Gelegenheit gegeben, sich vor aller Welt als servile Pedanten zu blamieren. Die Verhältnisse, die er in seinem Gefolg führt, werden die beste Propaganda für unsere Prinzipien machen.

 

Hier in England war die öffentliche Meinung bei Beginn des Kriegs ultrapreußisch; sie ist ins Gegenteil umgeschlagen. In den cafés chantants z.B. werden die deutschen Sänger mit ihrer Wi-Wa-Wacht am Rhein niedergezischt, während die französischen Sänger mit der Marseillaise in choro begleitet werden. Abgesehn von der entschiedenen Sympathie der Volksmasse für die Republik und dem Ärger der respectability (sog. guten Gesellschaft) über das nun sonnenklare Bündnis zwischen Preußen und Rußland und dem unverschämten Ton der preußischen Diplomatie seit den militärischen Erfolgen, hat die Weise der Kriegsführung - das System der Requisitionen, Niederbrennen der Dörfer, Erschießen der franctireurs, Bürgen nehmen und ähnliche Rekapitulationen aus dem Dreißigjährigen Krieg - hier allgemeine Entrüstung hervorgerufen.“[12]

 

Bismarck verstand es, die Mächte Europas in einem Netz diplomatischer Verträge für einen Moment in Ruhestellung zu halten. Der „ehrliche Makler“ entpuppte sich nach Bismarcks Entlassung spätestens um 1890[13] unter Kaiser Wilhelm II. selbst als potentieller aggressiver Imperialist.[14] Die vorgebliche „Berufung“ wurde zur alles erlaubenden Losung gewendet:


„Eine deutsche Welt ist eine bessere Welt!“[15]

 

Die imperiale Entschlossenheit fand ihren Ausdruck im überhasteten Aufbau einer militärischen Seegroßmacht.

 

Nun haben Nationen nach allem bisher Gesagten nur das Eine gemeinsam, dass sie in ihrem ökonomischen Expansionsdrang nach außen gegensätzliche Interessen haben. Dementsprechend muss die nationale Ideologie unter anderem die zentrale Funktion gewährleisten, das Agieren eines Nationalstaats am Weltmarkt zu legitimieren und somit die Heimatfront möglichst geschlossen hinter ihn zu versammeln.

 

Hollands und Englands Weltmachtrollen legitimierten sich schlichtweg selbst durch die ungeheure Mehrung des nationalen Reichtums, insbesondere den der glorreichen Königshäuser. Frankreich pflegte sich selbst in seiner Großmachtrolle zu legitimieren durch eine dünkelhafte Selbstüberhöhung seiner in 500 Jahren bewiesenen politischen und diplomatischen Fähigkeiten. Die nationale Ideologie der USA als einziger Republik auf rein bürgerlicher Grundlage – also dem kapitalistischen Privateigentum ohne Beigabe des Monopols eines feudalen Grundeigentums – machte noch nie einen Hehl aus ihrem bürgerlichen Sendungsbewusstsein – und immer mit dem pathetischen Gestus der Gründerväter des ‚neuen Zion’, allen dem verderbten feudalen Europa entkommenden Unterdrückten als freiheitliche Heimstatt zu dienen. Ihre nationalen Sonderinteressen verkaufen sie ideologisch wie alle Nationalstaaten stets als jeweiliges allgemeines Menschheits- oder Völkerinteresse.

 

So sehen die nationalen Ideologien von erfolgreichen Weltmächten aus. Die Sieger schreiben die bürgerliche Geschichte. Sie benötigen keine Rechtfertigung, denn in der Welt des Rechts, der bürgerlichen Welt, steht immer Recht gegen Recht und letztlich siegt die Gewalt. Die deutsche Ideologie ist jene des geschichtlichen Verlierers, der sich zu Größerem selbst berufen fühlt. Für diese großen Taten muss Deutschland sich selbst in der Rolle des Emporkömmlings legitimieren. Und der Emporkömmling kann nur aufsteigen, wenn er die gegnerischen Großmächte an Aggressivität übertrifft. Es liegt nahe, dass Deutschland von seiner angestammten Opferrolle ausgeht, um zwanglos als Täter agieren zu können.

Daher skizzieren wir in diesem und den zwei folgenden Abschnitten die Formen und Inhalte der drei Opfer-Täter-Verschiebungen der drei deutschen Anläufe zur Großmacht. 


[1]    Was als Echo des Herrn Kauder im November 2011 so widerhallte: „Jetzt wird in Europa deutsch gesprochen.“


[2]     Sarkastisch geschildert in: Heinrich Heine, Ludwig Börne – eine Denkschrift, 2006, Adamant Corporation. Heine resümierte 1830 seine Bemühungen als bürgerlich revolutionärer Schriftsteller so: „… ich mußte politische Annalen herausgeben. Zeitinteressen vortragen, revolutionäre Wünsche anzetteln, die Leidenschaften aufstacheln, den armen deutschen Michel beständig an der Nase zupfen, daß er aus seinem gesunden Riesenschlaf erwache … Freilich, ich konnte dadurch bei dem schlafenden Giganten nur ein sanftes Niesen, keineswegs aber ein Erwachen bewirken… Und riß ich auch heftig an seinem Kopfkissen, so rückte er es sich doch wieder zurecht mit schlaftrunkener Hand … Einst wollte ich aus Verzweiflung seine Nachtmütze in Brand stecken, aber sie war so feucht von Gedankenschweiß, daß sie nur gelinde rauchte … und Michel lächelte im Schlummer.“ Ebenda, Zweites Buch, S. 29


[3]     Wie sehr die deutschen Verhältnisse des 19. Jh. hinter Westeuropa hinterherhinkten, die bürgerliche Bewegung von Niederlage zu Niederlage taumelte und das staatliche Leben noch „mittelalterlich-barbarisch“ geführt wurde, dazu vgl.: Leo Kofler, Zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Versuch einer verstehenden Deutung der Neuzeit (Band 2), Berlin Dietz Verlag 1992


[4]     Siehe zu diesem Abschnitt der deutschen Geschichte: Friedrich Engels, Die Rolle der Gewalt in der Geschichte, S. 427 ff, MEW 21

 

[5]     Marx benutzt hier die archaische Schuldner-Gläubiger-Konstellation der Figur des Shylock aus Shakespeares Kaufmann von Venedig, um die ideologische Legitimation der feudalen Auspressung des Volkes durch die erblichen feudalen Herrschaften im nachhinkenden Deutschland noch um 1844 angemessen historisch-genetisch als dem Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit zugehörig zu diskreditieren. Hierauf wird später nochmals zurückgegriffen. Zur Figur des Shylock wird noch Anhang 1 online gestellt.

 

[6]     In: Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, MEW 1

 

[7]     Zu ersten Ausformulierungen der deutschen völkischen Ideologie und deren Kritik: Siehe: Peter Hacks, Ascher gegen Jahn: ein Freiheitskrieg, Berlin; Weimar: Aufbau-Verlag, 1991

Die dreibändige Kassette dokumentiert und analysiert die Anfänge der deutschen völkischen Ideologie. Sie enthält die Schrift "Deutsches Volkstum" des völkischen Agitators Friedrich Ludwig Jahn ("Vollkraft, Biederkeit, Gradheit, Abscheu der Winkelzüge, Rechtlichkeit und das ernste Gutmeinen waren seit einem Paar Jahrtausenden die Kleinode unseres Volkstums ..."); eine Sammlung der Schriften des Religionsphilosophen Saul Ascher gegen die Propagandisten der völkischen Ideologie und ihren aggressiven Antisemitismus ("... um das Feuer der Begeisterung zu erhalten, muß Brennstoff gesammelt werden, und in dem Häuflein Juden wollten unsere Germanomanen das erste Bündel Reiser zur Verbreitung der Flamme des Fanatismus hinlegen") sowie ein Essay des Herausgebers Peter Hacks über diese Auseinandersetzung und die "gleichermaßen aktuelle wie uralte nationale Frage der Deutschen". Entnommen den Buchempfehlungen zur deutschen Geschichte auf: http://www.german-foreign-policy.com/de/hist-archiv/dvp/

 

[8]     Kaiser Wilhelm selbst beispielsweise hielt Deutschland für die „jebildeste“ Nation überhaupt

 

[9]     In: Deutschlands Beruf, 1861. Entnommen aus: Werke, Band 4. Stuttgart: Cotta, 1883. S. 215.      

 

[10]       Friedrich Engels stieg durch seine in wichtigen englischen und US-amerikanischen Tageszeitungen publizierten weitsichtigen teils täglichen Analysen und Prognosen des deutsch-französischen Krieges zum anerkannten Militärexperten auf. Seine Schriften werden noch heute in den Führungsakademien der US-Army verwendet. Trotzdem schien er in seinem Brief vom 10. August 1870 an Marx selbst eine momentane Schwäche für die Illusion preußischer Ehrenhaftigkeit zu haben, da er davon ausging, dass die Preußen keine Revolution in Frankreich provozieren wollten:

„Ich glaube, einer Republik gegenüber verstehn sich die Preußen zu einem im ganzen in ehrenhaften Frieden. Es kann ihnen nicht konvenieren, 1793 und 1794 wieder heraufzubeschwören. Die ganze Thronrede des Wilhelm zielte darauf hin, daß auf eine Revolution spekuliert wurde und man die Sache nicht aufs Äußerste treiben wollte. Dagegen ist allerdings seitdem die nationale Wut in Deutschland groß und der Schrei nach Elsaß und Lothringen allgemein. Auch ist auf Wilh[elm] nicht zu rechnen. Aber ich glaube doch vorderhand noch, daß man sich mit weniger begnügen wird. Etwas Land wird Frankreich wohl lassen müssen. Und daß der élan von 1793 sich reproduziere, und zwar wirksam, dazu gehören auch die Feinde von 1793, und, wie Du mit Recht sagst, auch etwas andere Franzosen, als die soeben aus dem bas empire kommen.“ MEW 33, Seite 34

 

[11]       Die Kontinuität des "ehrlichen Maklers" wird in der Gegenwart von der deutschen Politik ins Gewand der Menschenrechte gekleidet – wie später noch zu zeigen ist.

 

[12]       Marx Brief von London an Ludwig Kugelmann in Hannover am 13. Dezember 1870, MEW 33, S.162f

 

[13]       Auf dem Berliner Kongress 1878 in Berlin behauptete Bismarck (laut Artikel in Hottinger′s Volksblatt) in der Balkankrise die Rolle eines „ehrlichen Maklers, der das Geschäft wirklich zu Stande bringen will“ zu spielen. Tatsächlich stellte er sich parteiisch auf die Seite Österreich-Ungarns gegen Russlands panslawistische Balkanbestrebungen.

 

[14]       Siehe: Hillgruber, Andreas, Bismarcks Außenpolitik, Freiburg 1972 (3. Aufl. mit einem Vorwort von Klaus Hildebrand 1993). Hildebrand, Klaus, Das vergangene Reich. Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler 1871-1945, München 1997; Mommsen, Wolfgang J., Großmachtstellung und Weltpolitik. Die Außenpolitik des Deutschen Reiches 1970-1914, Frankfurt am Main 1993.

Canis, Konrad, Bismarck und Waldersee. Die außenpolitischen Krisenerscheinungen und das Verhalten des Generalstabes 1882-1890, Berlin (Ost) 1980. Canis, Konrad, Der Weg in den Abgrund. Deutsche Außenpolitik 1902-1914.Verlag Ferdinand Schöningh 2011.  

Dominik Geppert rezensiert auf faz-net am 12.02.2012 diesen letzten Band von Canis mehrbändiger Geschichte der deutschen Außenpolitik von 1870 - 1914 mit der Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs dahingehend, dass das deutsche Reich nur auf eine begrenzte Hegemonie aus gewesen sei. Siehe: Canis, Konrad : Der Weg in den Abgrund - Der reale Kern der Einkreisungsängste http://www.faz.net/aktuell/politik/politische-buecher/konrad-canis-der-weg-in-den-abgrund-der-realer-kern-der-einkreisungsaengste-11646899.html

 

[15]       Das ideologische Grundlagenwerk zur „natürlichen“ (sich auf Boden, Rasse, Raum berufenen) Begründung des deutschen Imperialismus und dessen Ordnungsverständnis als „Expansionstrieb“ eines „gesunden Volkes“ lieferte 1887:   Friedrich Ratzel, Politische Geographie, Neudr. d. 3. Aufl. von 1923 Osnabrück: Zeller, 1974.

Kurz darauf, 1901, spitzte dieser Autor dasselbe sozialdarwinistisch als „Kampf ums Dasein“ zu: Friedrich Ratzel, Der Lebensraum. Eine biogeographische Studie, Sonderausg: Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1966

C Schmitt bezog sich in seinem Reichs-Konzept einer europäischen Großraumwirtschaft auf Ratzels „Lebensraum“. Es wird sich später finden, dass der Begriff der Geopolitik nach 1989 verstärkt ins Vokabular der deutschen Außenpolitik zurückkehrte.

Wertkritischer Exorzismus
Hässlicher Deutscher
Finanzmarktkrise