Steuern und Staatsfinanzen

Von Dr. H.

 

Der Staat ist für die Linke, ganz wie es das staatsbürgerliche Räsonnement verlangt, diejenige gesellschaftliche Instanz, die dem Allgemeinwohl vorbehalten ist, also dem alle übrigen partiellen Interessen übergreifenden und sie ausgleichenden allgemeinen Interesse.

Demzufolge wünscht die Linke sich einen „starken“, d.h. insbesondere finanzstarken Staat. Nötig hätten diesen starken Staat naturgemäß vor allem diejenigen, die im gesellschaftlichen Gegeneinander der Interessen ohne dies zu schwach sind, das Ihrige zu wahren. Fragt sich freilich, woher man den Optimismus nimmt, dass in jenem Allgemeinwohl, worauf das Staatshandeln ja abzielen soll, diese an sich zu schwachen Interessen mehr Berücksichtigung finden, als sie für sich genommen geltend machen können. Die Vermutung liegt nahe, dass die Schwäche in einem beträchtlichen Maß überwunden sein müsste, damit diese besonderen Interessen zum allgemeinen sich aufschwingen können. Dazu wiederum müsste zunächst die geschichtliche Bedingtheit der Schwäche ins Auge gefasst werden, statt, wie's die Linke in der Regel tut, das Dasein von gesellschaftlich „Schwachen“ und anderen dementsprechend „Starken“ als Naturtatsache zu behandeln.

 

Seit dem kommunistischen Manifest könnte man eigentlich spätestens wissen, dass besagte Schwäche „ausschließlich auf der Konkurrenz der Arbeiter unter sich“ (MEW 4, S. 473) beruht und es also an sich ein unfehlbares Heilmittel dagegen gibt, nämlich die Aufhebung dieser Konkurrenz durch Koalition oder Assoziation der „Schwachen“, die sich dann als die in Wahrheit Starken erweisen, von deren Tun oder Nichttun die vermeintlich „Starken“ ganz und gar abhängen. Darin liegt aber auch die Schwierigkeit dieses Heilmittels: Es bringt jene vermeintlich „Schwachen“ unweigerlich in den schärfsten Gegensatz zu ihrem vermeintlich „starken“ Widerpart und kommt damit dem Anspruch des Staates nach Ausgleich der widerstreitenden Interessen in die Quere. Es bringt sie also ebenso unweigerlich in Gegensatz zu demselben Staat, den zu ihrem Wohl die Linke gerade gestärkt sehen möchte. Wie umgekehrt eine Linke, die im Namen und als Anwalt der „Schwachen“ den starken Staat fordert, ihre Klientel in ihrer Schwäche fixiert.

 

Als Plattform für die Erhebung der lohnabhängigen Klasse zu neuem Selbstbewusstsein und politisch selbständiger Aktion lehnen wir natürlich diese linke Propaganda für Staatsgläubigkeit ab. Daraus wiederum muss aber logisch folgen, dass wir auch die Verbesserung der Staatsfinanzen ablehnen und also auch die Besteuerung der Reichen, sofern sie eben diesem Zweck unterworfen ist.

 

Damit würden wir uns auch von solchen ihrem Anspruch nach durchaus staatskritischen Teilen der Linken wie etwa der SAV absetzen. In ihrem Wahlaufruf zur Bundestagswahl 2009 schrieb diese beispielsweise:

 

„DIE LINKE ist die einzige Partei im Bundestag, die sich gegen Privatisierungen, Sozialabbau, Hartz IV, Lohnkürzungen, Arbeitsplatzvernichtung und Kriegseinsätze der Bundeswehr einsetzt und wichtige Reformforderungen nach Arbeitszeitverkürzung[1] bei vollem Lohnausgleich, Einführung einer Reichensteuer, massiven öffentlichen Investitionsprogrammen oder dem Ausstieg aus der Atomenergie aufstellt.“ (sozialismus.info, 25.08.2009)

 

Dass die Reichen zur Besserstellung der Habenichtse herangezogen werden, ist an sich selbstverständlich eine feine Sache. Aber die Habenichtse stehen nicht wirklich besser da, wenn sie aus der Vogelfreiheit in die Obhut des Hüters jener Ordnung überstellt werden, die gerade darauf beruht, dass sie nichts haben. Sie erhalten nur den offiziellen Ausweis ihrer Nichtigkeit. Allerdings scheint es mir nicht hinzureichen, unsere Position in dieser Frage nur negativ zu fixieren, nach dem Motto: Was interessiert es uns, woher der bürgerlich Staat sein Geld bekommt. Es ist ja eigentlich auch nichts dagegen einzuwenden, dass der Staat der Reichen das, was er in deren Interesse erledigt, von ihnen sich auch finanzieren lässt. Und selbst eine Regierung des revolutionären Proletariats wird natürlich auch bei ihren „rücksichtslosen Eingriffen in das kapitalistische Eigentum" zunächst zu den Mitteln greifen müssen, die diese Eigentumsverhältnisse vorgeben, also den Reichen entsprechend gehörige Steuern auferlegen.

 

In diesem Sinne wäre vielleicht zu verlangen, dass alle indirekten Steuern abzuschaffen[2] und die Freibeträge für die direkten Steuern auf Einkommen so anzuheben sind, dass zumindest die durchschnittlichen Einkommen aus Lohnarbeit steuerfrei bleiben.

 

Entscheidender aber für unsere Positionierung, also eine positive Bestimmung dessen, was wir als „wichtige Reformforderung“ in diesem Zusammenhang gelten lassen, scheint mir die Verknüpfung der hier verhandelten Frage mit derjenigen der Sozialversicherungen zu sein.



[1] Was übrigens die „wichtige Reformforderung nach Arbeitszeitverkürzung“ angeht, dazu siehe den Beitrag über „Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik“ im Programmentwurf der Partei DIE LINKE.

[2] Zu klären wäre dabei freilich zunächst, wie diese, ökonomiekritisch gefragt, überhaupt funktionieren.

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Kommentare: 3
  • #1

    Robert Schlosser (Freitag, 27 Mai 2011 18:07)

    Korrekte Linie!
    Grüße
    klaus_robert@t-online.de

  • #2

    Sascha (Dienstag, 15 November 2011 09:43)

    Interessanter Artikel, der sicherlich die Zustimmung mehrerer Leute gefunden hat.

  • #3

    DD (Mittwoch, 12 Dezember 2012 18:22)

    In einer Broschüre von

    Ansgar Knolle-Grothusen, Peter Hartmann: Umrisse zu einer ökonomischen Analyse des Kapitalismus heute

    (als PDF im Internet zugänglich unter http://www.helmutdunkhase.de/Umrisse.PDF)

    findet sich auf S. 70 folgende interessante Fußnote (110) zum Thema:

    „Die Behauptung, die Steuern würden im Wesentlichen von den kleinen Leuten bezahlt, ist linkskeynesianisches Gewäsch. Wenn wir mit Marx davon ausgehen, daß die Löhne im Ganzen dem Wert der Ware Arbeitskraft entsprechen, als quantitativ bestimmte Größe fixiert sind, dann sind alle Steuern, auch die Lohnsteuern und Steuern auf notwendige Lebensmittel, entweder Abzug vom Profit, oder Abzug von aus dem Mehrwert fließender Revenue. Nur in dem Maße, indem die Staatsausgaben den Wert der Ware Arbeitskraft senken, z.B. durch kostenlose Bildung, könnte man von einer Besteuerung der Arbeitskraft reden. Der Einzug der Steuern auf Profit auf dem Umweg über die Lohnsteuer oder Verbrauchssteuer hat für das Kapital den unschätzbaren Vorteil, daß erstens dadurch der Anschein erweckt wird, als könnten sämtliche Revenuequellen zur Steuer herangezogen werden und als gäbe es so etwas wie ein gerechtes Verhältnis herzustellen zwischen den Steuern auf Arbeitseinkommen und den Steuern auf Kapitalerträge. Zweitens äußert sich jede Erhöhung der Steuern auf Löhne oder notwendige Lebensmittel zunächst als Reallohnsenkung, also Sinken des Preises der Arbeitskraft unter ihren Wert und kann auch - soweit dies in der nächsten Lohnrunde nicht kompensiert werden kann - zu einer Senkung des Werts der Arbeitskraft innerhalb der Elastizitätsgrenzen ihrer Wertbestimmung (historisches und moralisches Element) führen. Ein weiterer Effekt des Systems der der Einziehung der Steuer auf Profite über die Lohnsteuer ist, daß hierdurch das Kapital mit hoher organischer Zusammensetzung gegenüber dem mit niedriger bevorzugt wird, es also einen Hebel zur Zentralisation des Kapitals und zur Umverteilung der Lasten vom großen zum kleinen Kapital darstellt. - Zur Frage der Steuern s. Marx, Exerptheft VIII, April 1851: Ricardo (David). On the Principles of Politikal Economy and Taxation. 3ed. London 1821, veröffentlicht in: Marx, Grundrisse zur Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953, S.787ff. Zur Frage der Steuern auf Arbeitslohn s. besonders S. 824f“

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